Korrespondenz, Erlasse und Listen für den Raum Karlsruhe / Baden: Erfassung und Deportation polnischer Juden und Jüdinnen; Kurzbericht und Namensliste zur "Aktion Arbeitsscheu Reich" (1938-1939)
Form und Inhalt
Das erste Schreiben dieser Teileinheit ist datiert auf den 07.07.1938 und steht als einziges Dokument im Kontext der sog. „Aktion Arbeitsscheu Reich“. Es handelt sich um einen Kurzbericht ("Vorbeugende Verbrechensbekämpfung") der Kriminalpolizeileitstelle Karlsruhe an den ortsansässigen Polizeipräsidenten bezüglich der Mitte Juni 1938 erfolgten Verhaftung von 40 männlichen Juden und 84 sog. „asozialen Personen“ und ihre Einweisung in die KL Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau. Enthalten ist eine Liste mit Namen und Geburtsdaten der 40 betroffenen Juden (Doc ID 11200764).
In der Hauptsache besteht die Teileinheit aus einer ausführlichen Dokumentation der staatlichen Verfolgung von Juden und Jüdinnen polnischer Staatsangehörigkeit im Raum Karlsruhe / Württemberg-Baden für den Zeitraum 18. Oktober 1938 bis 29. Dezember 1939. Im Fokus steht das gegen sie gerichtete Aufenthaltsverbot, ihre in diesem Kontext durchgeführten Verhaftungen und die Abschiebung der männlichen Gefangenen an die deutsch-polnische Grenze am 28. und 29. Oktober 1938, sowie die sich daran anschließenden Debatten und politischen Erlasse. Bezüglich der sog. „Polenaktion“ vom Oktober 1938 findet sich u.a. ein Verzeichnis mit Angaben zu Namen, Geburtsdaten und Adressen der 63 betroffenen männlichen Juden, vgl. Doc ID 11200770, siehe auch: Doc ID: 11200778.
Überliefert sind mehrheitlich:
- Erlasse und Korrespondenz des Reichsführers SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern in Berlin, adressiert u.a. an die Gestapo Karlsruhe, verschiedene Bezirksämter und Polizeipräsidien in Baden, an Stapo(leit)stellen und außerpreußische Landesregierungen (ohne Österreich und Sudetengau) sowie an die Deutsche Grenzdienststelle in Neu-Bentschen,
- diverse Schreiben und Berichte des Polizeipräsidiums in Karlsruhe mit zahlreichen maschinenschriftlichen und handschriftlichen Listen (auch anderer Polizeistellen) zu Verfolgten.
Für den gesamten Zeitraum (Okt. 1938 bis Dez. 1939) ist u.a. dokumentiert:
- die bürokratische Erfassung und Registrierung sämtlicher im Raum Karlsruhe (Baden) lebender Juden und Jüdinnen mit polnischer Staatsangehörigkeit,
- Korrespondenz zur Finanzierung der Abschiebung vom Oktober 1938 (vgl. u.a. Doc ID 11200805),
- die Entwicklung im Umgang mit den vor Ort gebliebenen Frauen und Kindern. Enthalten ist u.a. ein für diesen Zweck angefertigter Vordruck „Personalbogen für die Ehefrau und Kinder eines abgeschobenen polnischen Juden“ (vgl. Doc ID 11200799).
- Ergebnisse der Aushandlungen zwischen den NS-Behörden und dem polnischen Staat.
I) In der Debatte um weitere Abschiebungen nach Polen im Laufe des Jahres 1939 stand die einleitende Abschiebehaft in Konzentrationslagern im Fokus (von Abschiebungen bedroht waren nun auch jüdische Frauen). Jüdische Männer sollten in das KL Buchenwald, jüdische Frauen in das KL Ravensbrück eingewiesen werden. In diesem Kontext finden sich Anmerkungen zur Altersgrenze bezüglich Einweisungen in ein KL. Die Korrespondenz zwischen dem Polizeipräsidenten in Karlsruhe und der Gestapo Berlin dokumentiert das beharrliche Drängen aus Karlsruhe auf eine rasche Abschiebung bzw. KL-Einweisung sämtlicher sich noch im Raum Karlsruhe befindlichen polnischen, ausländischen und staatenlosen Juden und Jüdinnen, vgl. u.a. Doc ID 11200820, 11200838. Die Gestapo Berlin genehmigte die Einweisung polnischer Juden und Jüdinnen in ein Konzentrationslager, vgl. Doc ID 11200844. - Hervorzuheben ist in diesem Kontext ein Schreiben des Oberrats der Israeliten Badens vom 23.06.1939. Darin bat der Jurist Julius Ellenbogen das Polizeipräsidium in Karlsruhe um Fristverlängerung des Aufenthaltsverbots, vgl. Doc ID 11200818. Eine diesbezügliche Entscheidung des Ministers des Innern vom 05.07.1939 findet sich unter der Doc ID 11200826.
Der Schriftwechsel u.a. mit dem Distriktkommissar in Kuschten steht im Kontext der Vorbereitungen der sogenannten „Zweite Polenaktion“, die für den 31. Juli 1939 geplant war und stattdessen Mitte September 1939 durchgeführt wurde.
- Erwähnt werden soll eine Anordnung von Werner Best (im Auftrag des Reichsführers SS), betreffend die vorläufige Einstellung weiterer Abschiebungen aufgrund der verschärften polnischen Grenzüberwachung, vom 08.07.1939, vgl. Doc ID 11200829.
II) Für das Jahr 1939 finden sich außerdem Korrespondenz und Erlasse betreffend die Erlaubnis zur kurzzeitigen Wiedereinreise ins Deutsche Reich der im Oktober 1938 nach Polen abgeschobenen jüdischen Männer. Die Entscheidung stand im Kontext der geplanten „Arisierung“ des Vermögens im Frühjahr / Sommer 1939. Im Anschluss sollten die Männer erneut nach Polen abgeschoben werden, nun mit Frauen und Kinder (vgl. Doc ID 11200795ff.).
Hervorzuheben sind:
- Schreiben des Reichsministers des Innern, betreffend Sichtvermerke in polnischen Pässen, 26.12.1938-05.05.1939, vgl. u.a. Doc ID 11200807.
- Schreiben der Kriminalpolizeistelle Karlsruhe und Listen zum Verbleib und Vermögen von polnischen Juden und Jüdinnen, die im Raum Karlsruhe gemeldet und teils nicht mehr anwesend waren (insbesondere für den Zeitraum 11.-16.09.1939). Darin finden sich Hinweise auf Emigration bzw. Flucht oder Untertauchen der Verfolgten (vgl. u.a.: Doc ID 11200825; 11200841; 11200849-11200854; 11200871-11200880; 11200891- 11200907).
Die Teileinheit enthält u.a.:
- geschlechtergetrennte Listen zu Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit,
- Liste mit 77 Namen und Geburtsdaten von (mehrheitlich) Frauen mit polnischer Staatsangehörigkeit, die sich noch im Raum Karlsruhe befinden. Enthält von den Betroffenen angegebene geplante Abreisedaten, ca. Juni 1939, Doc ID 11200821.
- Verzeichnis zu 22 jüdischen (polnischen bzw. staatenlosen) Frauen (mit Geburtsdaten), die in Abschiebehaft genommen werden sollten, 25.07.1939, vgl. Doc ID 11200832; siehe auch: Doc ID 11200887,
- ein standardisiertes Schreiben des Polizeipräsidenten in Karlsruhe, adressiert an alle in Listen erfassten Juden und Jüdinnen mit polnischer Staatsangehörigkeit, betreffend ihre drohende Einweisung in ein KL, 20.08.1939 (Doc ID 11200837).
- Listen der Betroffenen (mit Namen und Geburtsdaten), siehe: Doc ID 11200839ff.
- verschiedene, an jüdische Frauen adressierte, unzustellbare Postkarten des Polizeipräsidiums Karlsruhe, betreffend ihre polizeiliche Vorladung, 06./07.09.1939 (Doc ID 11200855ff.).
- Auszug: „Merkblatt für die Anleitung der Volksgenossen bei der Ausfüllung der Volkskarteikarten“ (Ergänzung zum polizeilichen Melderegister), undatiert, Doc ID 11200867.
- Schriftwechsel zum Umgang mit im Raum Karlsruhe wohnhaften staatenlosen und ausländischen Juden und Jüdinnen, sowie Listen zur Erfassung ebendieser (vgl. u.a.: Schreiben betreffend Abschiebungshaft bei staatenlosen Juden, 29.07.1939, Doc ID 11200834; Schreiben betreffend „Abtransport ausländischer Juden“, 31.07.1939, Doc ID 11200835; Auflistung von Namen und Geburtsdaten von Personen mit französischer, britischer, polnischer Staatsbürgerschaft und von Staatenlosen, Doc ID 11200847; „Feindliche Ausländer“ Doc ID 11200883; 11200885).
Hervorzuheben ist ein Schreiben des Ausländeramtes in Karlsruhe betreffend den Aufenthalt von (polnischen) Jüdinnen in der Grenzzone, 26.09.1939, Doc ID 11200881; 11200888.
Bei dem zeitlich letztdatierten Dokument handelt es sich um ein Schreiben der Staatspolizeileitstelle Karlsruhe an die Landräte, Polizeipräsidenten und -direktoren in Baden, sowie an die Außendienststellen und Grenzpolizeikommissariate der Gestapo in Baden und den Minister des Innern, betreffend einen Erlass des RSHA vom 21.12.1939, in dem das Verbot der Abschiebung von „Juden aus dem Altreich einschliesslich der Ostmark und dem Protektorat in die besetzten polnischen Gebiete“ angeordnet wurde, 27.12.1939, Doc ID: 11200890.
Abgebende Stelle
nicht ersichtlich