Deportationen aus dem Gestapobereich Berlin
Signatur
VCC.155.I
Entstehungszeitraum
1937-03-24 - 1976-10-27
Anzahl Dokumente
5925
Form und Inhalt
Enthält:
I) Der Großteil dieser Einheit dokumentiert in Form von Listen und Korrespondenz die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus Berlin im Zeitraum zwischen dem 18. Oktober 1941 und dem 27. März 1945. In der Regel finden sich für jede Deportation neben den von der Stapoleitstelle Berlin erstellten sogenannten Transportlisten ab 1942 auch die dazugehörigen Begleitschreiben an die Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg (nur in einem Fall handelt es sich zusätzlich um Korrespondenz der Stapoleitstelle Potsdam, vgl. Doc ID 127213223-127213225). Vereinzelt sind zusätzlich Verzeichnisse zu Betroffenen, die vor ihrer Deportation Suizid begingen, enthalten.
Dokumentiert sind, mit wenigen Ausnahmen, die Wellen 1 bis 68. Insbesondere bezogen auf die ersten 7 Deportationen (sämtlich 1941) ist die Überlieferung fragmentarisch: Zum 1., 3. und 4. so genannten Osttransport ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz) sind lediglich unvollständige Abschriften der „Transportlisten“ erhalten geblieben. Sie finden sich im Bestand als Reproduktion. Bezüglich des 3. und 4. Osttransports sind neben den Reproduktionen auch das Deckblatt der jeweiligen Gestapo-Akte (Welle 3 und 4) im Original überliefert. Zum 4. Osttransport ist darüber hinaus Korrespondenz zwischen der Vermögensverwertungsstelle und der Berliner Gestapo aus dem Jahr 1943 im Original enthalten. Nicht enthalten sind die Listen zum 2. Osttransport nach Lodz (24.10.1941) (hier findet sich nur das Deckblatt der Gestapo-Akte im Original), zum 5. Osttransport nach Minsk (14.11.1941), zum 6. Osttransport nach Kowno (17.11.1941) und zum 7. Osttransport nach Riga (27.11.1941).
II) Verzeichnis („Sonderaktion gegen Juden“) und Korrespondenz zu 154 männlichen Juden, die nach dem Brandanschlag auf eine NS-Propaganda-Ausstellung am 27. und 28. Mai 1942 verhaftet und in das KL Sachsenhausen verschleppt wurden (Welle 14).
III) Schreiben der Stapoleitstelle Berlin an den Oberfinanzpräsidenten bezüglich der Deportation von 252 als sogenannte „Zigeuner“ verfolgten Personen (u.a. Sinti und Roma) in das KL Auschwitz, datiert auf den 05.05.1943 (Welle 57). Darin wird einge-hend auf den bürokratischen Ablauf der Einziehung ihrer Vermögenswerte und Bargeldbeträge eingegangen. Die dazugehörige „Transportliste“ ist nicht Teil des Bestands.
IV) Gestapo-Verzeichnisse zu Jüdinnen und Juden, die in der Zeit zwischen dem 02.07.1943 und dem 18.03.1945 verstorben sind mit dazugehöriger Korrespondenz an den Oberfinanzpräsidenten bezüglich der Einziehung des Vermögens (vgl. Sign. 15510049, Doc ID 127212970-127213045).
V) Die letzten beiden Untereinheiten enthalten (in Reproduktion) ein sogenanntes Abwanderungsbuch des Bischöflichen Hilfswerks Berlin betreffend zum Christentum konvertierte Juden und Jüdinnen, die zwischen Oktober 1938 und September 1944 aus Berlin deportiert wurden oder emigriert sind, sowie ein alphabetisches Verzeichnis jüdischer Ärzte und Ärztinnen, die 1937 in Groß-Berlin ansässig waren.
Erläuterungen zu I): Die Stapoleitstelle verwendete zwei unterschiedliche Bezeichnungen für die Deportationen aus Berlin:
1. „Alterstransporte“: Sämtliche Deportationen nach Theresienstadt wurden als so genannte Alterstransporte geführt - unabhängig von dem tatsächlichen Alter der Deportierten. Im Zuge der Erschließung wurde angestrebt, Untereinheiten zu Alterstransporten, bei denen gemeinsam mit älteren Jüdinnen und Juden auch oder ausschließlich Familien mit Kindern deportiert wurden, mit dem Schlagwort „Kinder und Jugendliche“ zu attributieren. Zwischen dem 15. und 34. Alterstransport (06.–31. Juli 1942; Welle 19-22) wurden pro Woche fünf Transporte (bis dahin 3 pro Woche) mit jeweils 100 Menschen nach Theresienstadt abgefertigt. Sie wurden am Anhalter Bahnhof eingesetzt und den Regelzügen nach Karlsbad angehängt. Bei den deportierten Häftlingen handelte es sich hauptsächlich um alte Menschen, darunter auch zahlreiche Bewohner_innen jüdischer Altenheime. Ab Jahresbeginn 1944 befanden sich in den Deportationszügen nach Theresienstadt vor allem Juden und Jüdinnen aus nicht mehr bestehenden „Mischehen“ (z.B. aufgrund des Todes des Ehepartners/der Ehepartnerin oder durch Scheidung) (vgl. Alterstransporte 99-101; 50. Osttransport). Auf Grundlage der Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes vom Januar 1945 deportierte die Stapoleitstelle am 2. Februar 1945 mit dem 116. Alterstransport erstmalig auch Personen, die in noch bestehenden „Mischehen“ lebten. Zusätzlich zu den Alterstransporten mit in der Regel 50 bzw. 100 Personen, ließ die Stapoleitstelle im August, September und Oktober 1942, sowie im März 1943 vier sogenannte große Alterstransporte mit jeweils rund 1.000 Häftlingen nach Theresienstadt transportieren.
2. „Osttransporte“: Deportationen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz sowie in Ghettos und Lager der besetzten Ostgebiete (darunter fielen u.a. die Ghettos in Lodz, Riga, Minsk, Piaski und Warschau, sowie u.a. die Konzentrations- bzw. Vernichtungslager Majdanek und Sobibor) wurden als sogenannte Osttransporte betitelt. Nach dem 22. Osttransport (nach Riga am 26. Oktober 1942, Welle 35) wurden ab dem 29. November 1942 sämtliche Osttransporte aus dem Reich nach Auschwitz-Birkenau geleitet. In Berlin diente fortan das Sammellager in der Großen Hamburger Straße als Ausgangspunkt. Eine Ausnahme bezüglich der geografischen Lage des Deportationsziels bilden die letzten aus Berlin abgehenden Osttransporte zwischen Ende November 1944 und Anfang Januar 1945: Aufgrund des Vorrückens der Roten Armee lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob der 59. Osttransport tatsächlich wie geplant in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ging (oder kurzfristig in das KL Sachsenhausen umgeleitet wurde). Als gesichert gilt, dass die Betroffenen des 60. und 61. Osttransports in das KL Sachsenhausen deportiert wurden. Von dort wurden die weiblichen Häftlinge weiter in das KL Ravensbrück verschleppt. Die Stapoleitstelle vergab für jeden Deportationszug (sog. Transport) eine fortlaufende Nummer, wobei sie die insgesamt 117 Alterstransporte, die 4 sogenannten „großen Alterstransporte“ und die 63 Osttransporte separat voneinander zählte.
Auf den Listen finden sich u.a. folgende Angaben zu den Betroffenen:
• vollständiger Name
• Adresse
• Alter
• Kennkartennummer
• die im Vorfeld der Deportation jeder gelisteten Person zugewiesene Kennzeichennummer, zeitgenössisch auch „Transportnummer“ genannt.
Das Bemerkungsfeld enthält diverse Hinweise, u.a. zu sog. Vermögenserklärungen; zu familiären Beziehungen der Betroffenen und etwaigen Tätigkeiten in der Jüdischen Gemeinde / Jüdischen Kultusvereinigung (abgekürzt mit JKV). Teilweise wurden Berufsbezeichnungen wie Krankenbehandler (NS-Terminologie für einen jüdischen Arzt / Ärztin) vermerkt. Gelistet ist auch, wenn es sich um einen Kriegsveteranen mit Aus-zeichnungen handelte (jüdische Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges mit Verwundetenabzeichen bzw. dem Eisernes Kreuz I. Klasse waren laut den RSHA-Richtlinien für eine Deportation nach Theresienstadt vorgesehen). Des Weiteren finden sich rassistische Begriffe der NS-Ideologie wie Geltungsjude; Mischling; Mischehe.
In der Regel handelte es sich bei den Deportierten um Jüdinnen und Juden aus Berlin mit (vormals) deutscher Staatsangehörigkeit. In einigen Fällen wurden Betroffene aus verschiedenen Orten in Brandenburg oder Städten wie Leipzig, Hamburg, Tilsit und Erfurt zunächst nach Berlin transportiert, um von dort deportiert zu werden. Ihre Namen stehen zum Teil nicht auf der Transportliste (vgl. 4. Alterstransport).
Es finden sich auch vereinzelt Jüdinnen und Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die aus Berlin verschleppt wurden. Diese wurden von der Stapoleitstelle in den Quellen gesondert hervorgehoben, allerdings nicht einheitlich: So finden sich neben der Erwähnung in der Korrespondenz teils handschriftliche Vermerke auf den Transportlisten. Auf den Listen datiert auf den 2. Februar 1945 betreffend den 116. Alterstransport und den 62. Osttransport (Welle 68) wurden ausländische Jüdinnen und Juden mit blauen Häkchen gekennzeichnet (vgl. Doc ID 127213279). Die gleiche Markierung kann auf zeitlich früheren Listen jedoch eine gänzlich andere Bedeutung haben.